Leseprobe Mütter alleinstehend in der DDR

Kathrin

Kinder wollte ich auf jeden Fall haben. Mein Traum war eine heile Familie mit zwei Kindern, möglichst ein Mädchen und ein Junge. Mutter, Vater, Kinder – so wie es schon immer war.
Ich bin so aufgewachsen. Das hat mich geprägt. Meine große Schwester hatte zwar einen anderen Vater, den keiner kannte, aber das spielte keine Rolle. Der Mann meiner Mutter trat in ihr Leben, als ihr erstes Kind noch ganz klein war. Es zu adoptieren war das Selbstverständlichste der Welt.
Einen Unterschied zu den nachfolgenden Kindern, ein Junge und ein Mädchen – das war ich – gab es nie. Daran würde ich mich bestimmt erinnern.
Ich habe ziemlich zeitig mit dem Sex angefangen aber so richtig interessiert hat mich einer der Jungen nie.
Mit knapp 18 lernte ich Sandro kennen. Wir absolvierten beide eine Lehre.
Ich zum Zootechniker/Mechanisator Tierproduktion und er zum Kfz-Schlosser. Das war in Anklam, im tiefen Mecklenburg. In dem Städtchen war nicht viel los. Es gab da so eine spezielle Disko, wo wir Mädchen uns immer trafen. Das Bier war billig. Ein Helles 46 Pfennig, ein Pils 51 Pfennig. Dazu rauchten wir Karo, die Schachtel 1,60 DDR-Mark. Natürlich eine Schachtel für alle.
Da hockten wir also und haben die Jungens ein bisschen verscheißert, zusammen waren wir ja stark. Dann ging die Tür auf. Herein schwebte ein großer, breitschultriger Typ im langen schwarzen Ledermantel. „Den musst du kennen lernen, mit dem musst du unbedingt ins Gespräch kommen,“ dachte ich. Ganz sicher war ich mir nicht, ob er mich gut findet. Schon seitdem ich 14 war, nahm ich die Pille, weil ich sonst ganz schreckliche Schwierigkeiten während der Periode hatte. Nun waren die Schmerzen zwar geringer, aber ich ging auf wie ein Hefekloß.
Er ließ sich auf ein Gespräch ein. Seine durchaus höfliche Art – was man nicht so selten in Kombination mit einem tollen Aussehen fand – begeisterte mich. Ich war hin und weg.
Wir verabredeten uns einige Male, es wurde immer fester zwischen uns. Irgendwann hatten wir ein Verhältnis. Ich war mir gar nicht so sicher, ob ich das wollte.
Das Leben machte mir in dem Status als Single – diesen Ausdruck verwendete man damals noch nicht – viel Spaß. Wir hatten zwar alle nicht viel Geld, aber wir machten was draus. Die Lehrlingsrente betrug 80,00 Mark. Davon bezahlten wir 40,00 Mark für so eine Art Internat. Den Rest konnten wir auf den Kopf hauen. Außerdem wurde man weibliche Jugendliche oft eingeladen, ohne dass man sich verpflichtet fühlen musste.  Paar Mädels taten sich zusammen und trampten nach Berlin zu Parties. Das war eine tolle Zeit mit dem Gefühl der Freiheit. Das wollte ich mir nicht nehmen lassen.
Wir kannten uns vielleicht ein Jahr, da hatte ich die Fehlgeburt. Dass ich  schwanger war, bemerkte ich gar nicht. Ich bekam auf der Arbeit ganz plötzlich Blutungen, die nicht wieder aufhören wollten und unerträgliche Schmerzen. Man brachte mich in den OP des Krankenhauses, wo ich dann nur noch ausgekratzt werden konnte. Nein, ich war  nicht traurig. Mit dem Thema „Kind“ hatte ich mich nach so kurzer Zeit noch nicht auseinandergesetzt. Außerdem wollte ich erst meine Lehre beenden. Sandro war das alles gleichgültig. Eigentlich hätte ich da schon stutzig werden müssen.
Er sagte, er meine es ernst mit uns und er wolle mich seinen Eltern in Ducherow vorstellen. Das mit dem ernst meinen, war die Voraussetzung dafür. So hatte er es mit Vater und Mutter abgesprochen.
Ich hatte damals – zumindest für ältere Menschen –ein etwas gewöhnungsbedürftiges Outfit. Flickenjeans, Fleischerhemd, Thälmannjacke und überall Ketten. Per Anhalter fuhr ich zu meinen wahrscheinlich zukünftigen Schwiegereltern und wurde herzlich aufgenommen. Das sollte sich nie ändern.
Meine Eltern mochten meinen Angebeteten gar nicht. Sie registrierten das, was ich in meiner Verliebtheit nicht sehen konnte. Sandro war ein verwöhnter, egoistischer Nachzügler, der nur an sich dachte.  So ganz anders, als es in unserer Familie üblich war. Von Anfang an war er ihnen ein Dorn im Auge. Sie tolerierten ihn als meinen Partner, akzeptierten ihn aber nie.
Gern hätte meine Familie ihre Fünf-Raum-Wohnung  in Güstrow in zwei kleinere Wohnungen getauscht, damit wir auch eine eigene Bleibe
Hatten. Es funktionierte einfach nicht. Wir waren nicht verheiratet, also stand uns vom Amt keine Wohnung zu. Zum Traualtar wollte ich zu dieser Zeit noch nicht schreiten, dazu kannten wir uns nicht lange genug. Also zogen wir mit in das Häuschen meiner Schwiegereltern auf dem Dorf ein. In der Kaufhalle fand ich einen Job. Verkäuferin war ja damals ein ausgesprochener Frauenberuf. In einem Jahr konnte ich in der Erwachsenen-Qualifizierung meinen Facharbeiter machen. In meiner Ausbildungsgruppe gab es nur weibliche Mitglieder. Das führte natürlich hin und wieder zu Auseinandersetzungen.
Sandro war damals bei der Armee und kam nur gelegentlich nach Hause. In Absprache mit dem Frauenarzt entschieden wir uns für eine Pillenpause.
Das war 1987, da kostete das Medikament – ausschließlich auf Rezept – noch           , die wollten wir sparen. Wir verhüteten mit Kondom. Da müssen wir allerdings was verkehrt gemacht haben. Ich litt unter Magenschmerzen. Mein Hausarzt schickte mich zum Gynäkologen. Nach der Überprüfung des Urins war klar: Ich bin schwanger. „Kacke“, dachte ich „das passt ja nun gar nicht“. Ich brauchte lange Zeit, um zu merken, dass mein Partner lieber nahm als gab, was ich von zu Hause absolut nicht gewohnt war. Obwohl ich mir all seiner Fehler bewusst war, kam ich nicht von ihm los. Als ich ihm meinen Zustand erklärte, reagierte er ziemlich gleichgültig.  Auch wenn Sandro nicht mitspielte, entschied ich mich von Anfang an für das Kind. Über Abtreibung dachte ich gar nicht nach.  Meine Eltern waren gerade in Tschechien im Urlaub. Ich hatte unheimliche Angst, das Ereignis zu verkünden, weil sie den zukünftigen Vater ja nicht mochten. Es fiel jedoch kein schlechtes Wort, als ich ihnen mitteilte, dass sie nun Großeltern würden. Im Gegenteil, besonders meine Mutter freute sich sehr.
Die Schwangerschaft verbrachte ich in Ducherow bei Sandros Eltern, die mich hegten und pflegten. Ich wurde immer dicker, sah schon aus wie ein kleines Mastschwein, das war nicht nur das Baby. Weil ich in der Kaufhalle an der Flaschenkasse arbeitete und schwer heben musste, bekam ich Blutungen, für drei Monate ab ins Krankenhaus und immer nur liegen.
Sandro kam an manchen Wochenenden nach Hause. Dann meckerte er rum, weil ich so dick war. Sex wollte er trotzdem. Ich hatte um das Kind Angst. Ständig bedrängte er mich. Ich habe ihn dafür gehasst.
Genau zum Termin, Am 1.April  19             entband ich meinen Sohn Marcus. Er wog nur 2 700 g und war das hässlichste Baby auf der ganzen Station. „Wenn Sandro ihn sieht, mag er ihn bestimmt nicht“, fürchtete ich. mich.
In einem Telegramm teilte ich ihm die Geburt mit, Telefon war damals nicht selbstverständlich. Am nächsten Tag kam der frisch gebackene Vater mit seinem Kumpel. Frisch sah er nicht aus, sie hatten tags zuvor auf die Geburt einen gehoben. Vaterfreuden konnte ich bei ihm nicht spüren, er nörgelte; „Ich denke, du hast entbunden, du bist ja immer noch so fett.“ Damit hatte er natürlich recht, ich konnte mich selbst nicht leiden. Gab mir aber dann alle Mühe, mein früheres Gewicht wieder zu erreichen. Außerdem war mein Partner sauer, weil ich dem Kind ohne seine Zustimmung einen Namen gegeben hatte.
Im Gegensatz zu ihm waren seine Eltern stolz auf den Nachfahren. Von  Anfang  an liebten und verwöhnten sie es. Dasa ist noch heute so.
Wir wohnten wieder bei meinen Eltern, sollten 200,00 Mark Kostgeld abgeben. Das sah Sandro nicht ein, sein Geiz wurde immer offensichtlicher.
Allerdings sah er nicht auf den Pfennig, wenn es um ihn ging. Häufig brachte er teure seltene Lebensmittel aus dem DELIKAT mit, die er allein aufaß. Nein, nicht heimlich. Er hatte kein schlechtes gewissen, kam nur nicht auf die Idee zu teilen.
Ich bekam ein Jahr Mutterschaftsgeld in Höhe des Nettogehaltes. Das waren etwa 500 Mark. Meine Job blieb mir erhalten. Als ich nach zwölf Monaten wieder einsteigen wollte, gab es nur Arbeit im Schichtbetrieb. Allein wäre das nicht gegangen. Ich hätte meinen Sohn in die Wochenkrippe geben müssen. Sandro war ja wochentags bei der armee i n einer anderen Stadt.  Meine Eltern sprangen ein, wenn ich zu unmöglichen Zeiten in die Kaufhalle musste. Sie taten es gern.
Sandro faselte inzwischen von Heirat, weil sonst keine Aussicht auf die eigenen vier Wände bestand. Es war kein großes Fest. Wir gingen mit un seren Eltern essen, das wars. Ich wusste es von Anfang an, dass es nicht gut gehen kann. Heiraten hätte ich nicht dürfen. Seine fast krankhafte Eifersucht machte mich wahnsinnig. Sogar, wenn  ich wegen meiner Leibesfülle mehrmals in der Woche zum Sport ging, spionierte er mir nach.
Ich hielt das einfach nicht mehr aus. Außerdem hatte ich inzwischen bemerkt: Es gibt auch andere bessere Männer, die sich für mich interessierten. Betrogen habe ich ihn trotzdem nie.
Hinter seinem Rücken mit Hilfe meiner Eltern reichte ich die Scheidung ein. Eigentlich wollte ich mich nicht unbedingt trennen. „Mensch ändere dich, sonst verlierst du mich,“ wollte ich ihm sagen. Auf eine Wendung hatte ich gehofft, das passierte nicht. Wir zogen die Scheidung durch, das wars dann. Ich atmete auf.
Ich saß immer noch im elterlichen Nest und war sozial abgefedert. Markus machte mir viel Sorgen. Er war nicht der Kräftigste, häufig war er krank, ständig Bronchitis. Da gabs ja gottseidank Lohnfortzahlung für Alleinstehende. Ich wollte so gern wieder berufstätig sein. Jeden Morgen schrie das Kind, wen ich es zur Krippe brachte. Die Erzieherin musste es mir aus den Armen reißen. Dann wieder die Krankheit, Sandro wurde vom Arzt krippenuntauglich geschrieben, ich blieb widerwillig zu Hause.
Endlich kriegten wir die Fünfraumwohnung meiner Eltern in zwei kleinere getauscht. Meine erste eigene Bude. Eine Zwei-Raum-Wohnung im Neubaugebiet mit Ofenheizung.  Sandro half mir beim Tapezieren. Ansonsten war seine Meinung: „Du wolltest das Kind. Also kümmere dich.“ Hin und wieder holte er seinen Sohn und stellte ihn in Ducherow bei seinen Eltern ab. Streit wegen materieller Dinge gab  es zwischen uns nicht. Geschenke von der Hochzeit waren nicht aufzuteilen, weil es keine gab. Er hatte nichts mit gebracht. Die Möbel wie Schrankwand und Schlafzimmer, die wir uns von den 7 000,00 Mark zinslosem Ehekredit vom Vater Staat gekauft hatten, nahm ich mit, weil ich diejenige war, welche die Raten bezahlte. Die Höhe der Raten war verdienstabhängig. Pro entbundenes Kind fielen damals 1 000,00 Mark von der Kreditsumme weg, so „kinderten“ manche Familien die Schulden ab.  Die Rechtsanwältin riet mir auf Unterhalt für mich zu klagen, weil Sandro gut verdiente. Mir reichten die 120,00 Mark Alimente. Das mit dem Unterhalt war damals nicht üblich. Ich wollte keinen Streit, sondern einfach meine Ruhe haben.
Schnell lebte ich mich in meiner neuen Umgebung ein. Da ich in unserem Block die einzige Mutter war, die mit ihrem Kind zu Hause bleiben konnte,
half ich den anderen Frauen, wo ich konnte, wenn Sohn oder Tochter unter gebracht werden musste. Auf diese Art und Weise war immer Leben in der Bude. Wenn ich mal was vor hatte, fand ich immer eine Ansprechpartnerin.
Mit meiner neuen Nachbarin zog ich am Wochenende um die Häuser. Mein
Engel war ja versorgt. Ihr ging es jedoch nicht so gut wie mir mit meinen liebenden und großzügigen Eltern im Rücken. Wo es ging wurde sie von den anderen Frauen in der Arbeiter- und Wohnungsgenossenschaft unterstützt. Wenn am Wochenende eine für alle kochte, konnte sie ihren Beitrag behalten. Samstags und sonntags gings in der Gruppe zum Strand oder in den Zoo. Ohne meine Nachbarin hätte ich gar nicht in Schicht arbeiten können, meine Eltern wollte ich auch nicht ständig fragen, wohnten wir ja nun doch ein Stück auseinander. Markus hatte ich eingebleut: “Sollte irgendwas komisch sein, wenn ich mal nicht da bin, dann klingeltst du sofort bei der Nachbarin.“ Es war üblich, dass man seinen Schlüssel hinterlegte oder einen Zweitschlüssel abgab. Es war ein guter Zusammenhalt zwischen uns. Neid gab es nicht, wir hatten alle nicht viel und das teilten wir.
Ich verdiente damals so um die 500,00 Mark, trotzdem habe ich gut gelebt mit meinem Sohn. Grundnahrungsmittel waren billig. Die Miete nicht hoch,   32,00 Mark           für     Quadratmeter. Das mit den Klamotten war echt Scheiße. Baumwollwindeln waren nicht zu kriegen. Man benutzte so synthetisches Material, was immer grauer und flusiger wurde. An Pampers war noch nicht zu denken. Später gabs dann so Einlagen aus Zellstoff, die wie eine große Damenbinde aussahen. Nach Gummihosen musste man schon um 6.00 Uhr in der Früh anstehen, obwohl der „Bummi“ erst um 8.00 Uhr aufmachte. Man verbrachte viel Zeit mit solchen Dingen. Es hatte sich ein Tauschsystem herausgebildet. Wer Vitamin B – so nannte man Beziehungen – zu einer bestimmten Ware hatte, konnte auf dem Tauschweg zu dem kommen, was er brauchte.
Ich hatte einen Weststrampler, den habe ich gehütet und nur zu bestimmten Anlässen angezogen. Ungern gab ich ihn weiter. Die Kindersachen wurden immer von mehreren Sprösslingen getragen, im Freundeskreis weiter gegeben.
Ich habe in der DDR nichts vermisst. Mir gings gut. Da ich aus einem Armeehauhalt kam, war ich sowieso auf dies Republik eingeschworen,auch meinen Mitschülern ging es so. Fast alle hatten Väter, die bei der Volksarmee arbeiteten. Als Offizierskind kannte ich kein Westfernsehen und kein Westradio. Ich bin sozusagen an der roten Front groß geworden.
Jedes Jahr Urlaub an der Ostsee – natürlich im FdGB-Ferienheim  -, hin und wieder nach Polen und in die Tschechei, das reichte uns. Dass die Welt noch viel größer sein kann, ahnte ich, als ich so 15-16 war. Ich war ja nun nicht mehr nur den Einflüssen meiner Eltern und der Schule ausgesetzt.
Nach der Wende konnte man sich zwar all die schönen Dinge kaufen, die ich dann doch ab und zu im Fernsehen sah, als ich im Internat wohnte, man konnte dorthin reisen, wohin man wollte – wer aber hatte das Geld dafür?
Die Lebenserhaltungskosten stiegen rapide an, da blieb nicht viel übrig.
Das Leben in der Krippe und im Kindergarten änderte sich nicht so schnell. Es dauerte seine fünf bis sechs Jahre bis auch dort von der DDR nichts mehr zu spüren war.
Wenn ich zurückdenke, möchte ich die Zeit als allein stehende Mutter nicht missen. Das Leben war leichter als jetzt, es war mehr Verbundenheit
und Hilfsbereitschaft da, so dass Markus das zweite Elternteil gar nicht so   sehr vermisste. Brachte ich jedoch ein männliches Wesen mit nach Hause, häufig war es nur ein Kumpel, fragte er sofort: „Bist du mein neuer Papa?“ Aber da war ich schon allein erziehende Mutter in einem neuen Bundesland.