Leseprobe FRAU GEYER

»Frau Geyer ist mir auf den Kopf gefallen!« Mit dieser Nachricht kam mein zweijähriger Sohn zu mir in den Garten gelaufen und wies auf eine Beule am Kopf. Wieso konnte ihm die Dame auf den Kopf fallen? Das ist ganz einfach. FRAU GEYER ist eine Schaufensterpuppe aus den fünfziger Jahren, welche ich mir Ende der achtziger Jahre aus der Konsum-Werbung-Abteilung »besorgt« hatte und die nun schon einige Zeit in der Küche unseres Einfamilienhauses in Gehlsdorf posierte. Dieser Name wurde ihr verpasst, weil Söhnchen Franz immer wieder fragte, »Wer ist das?«, als die Puppe ihren ersten Auftritt neben dem Kühlschrank hatte. Das Geschehen spielt kurz vor der Wende. Wir hatten uns scheiden lassen, weil wir zwei Wohnungen brauchten, um ein lange gesuchtes Haus kaufen zu können. Das war zu DDRZeiten eben so. Wollte man eine Immobilie erwerben, musste man über die Schätzsumme hinaus etwas drauflegen, oder es mussten ein bis zwei Tauschwohnungen zur Verfügung stellen. Wir hatten aber nur eine Unterkunft. In jahrelangem Kampf erhielt ich eine Neubauwohnung, 2½ Zimmer für vier Personen. Allerdings hatte ich meine alte Zweiraum-Wohnung in der Budapester Straße, mit Klo auf dem Boden, »schwarz« behalten. Herr Geyer heulte beim Wohnungsamt fast, als er um eine eigene Bleibe bettelte, wo ich Böse mir doch angeblich einen anderen Mann geangelt hatte, während der meinige an der Erdgas- Trasse sein Bestes für unsere Republik gab. Der Angestellte vom Amt zeigte Verständnis. So hatten wir die zwei Wohnungen in den Stadtteilen, welche die Hausverkäufer wünschten. Ich nahm wieder meinen Mädchennamen an, damit es beim Amt keiner merkte, dass die geschiedenen Leute schon wieder zusammenzogen. Frau Geyer, so mein angeheirateter Name, gab es also nicht mehr, deshalb bekam die Schaufensterpuppe ihn. An- und Verkäufe haben mich schon immer angezogen, Trödelläden auch. Die Dinge, die man dort findet, haben schon ein Leben hinter sich. Brechts Kommentar dazu »Am liebsten sind mir von den Dingen die gebrauchten.« Nun will ich mich nicht mit dem großen Schriftsteller vergleichen. Jedoch die Möbelstücke, die ich besitze, haben alle eine Geschichte, weil sie nicht aus dem Warenhaus sind. Wir haben sie bei Wohnungsauflösungen zusammengesammelt, aus Sperrmüllhaufen aussortiert und von der Deponie geholt oder mit Freunden und Bekannten getauscht. Zu DDR-Zeiten freute man sich, wenn man im »An und Ver« Klamotten aus dem Westen fand, passte es nicht, wurde es geändert. Eine elektrische Nähmaschine, für die man sich Jahre vorher anzumelden hatte, war ein Muss. Bei einem Lädchen dieser Branche in der Eselföterstraße war ich im Verteilerschlüssel. Der ältere Herr mit seiner gutmütigen Ausstrahlung hob mir die besten Stücke auf. Nach und nach freundeten wir uns an, besuchten einander. Er bewohnte mit seiner Frau ein Häuschen mit Blick über die Felder auf dem Hinterhof am Petridamm. Seine Gattin hatte eine herrliche Kodderschnauze, über die ich mich amüsieren konnte.