Leseprobe Lust in der Mitte

Friederike, 65

Es ist schon gut zehn Jahre her. Eine meiner Freundinnen jammerte rum, weil sie keinen Mann hatte. Da gab ich ihr den Rat, doch mal eine Anzeige zu starten. Wo soll man denn sonst in unserem Alter – wir waren beide fünfundfünfzig – jemanden kennenlernen? Katharina wollte nicht so richtig, das war ihr zu blöd. Dann dachte ich, warum versuchst du es eigentlich nicht selbst? Da musste ich erstmal über meine Vorstellungen betreffs „männliches Wesen“ nachdenken. Also so einen, der ständig in meiner Bude hockt, für den ich kochen, waschen, putzen soll und der dann immer nur das Eine will, so einen habe ich nach meiner ersten Ehe nie wieder gesucht. Ich wollte was erleben und ein bisschen verwöhnt werden, wozu mir halt das nötige Kleingeld fehlte. Und am liebsten sollte der Herr aus Österreich sein. Dieses Land hat mich schon immer fasziniert. Nun, nach der Wende, sah ich die Möglichkeit näherrücken, an das Ziel meiner Wünsche zu kommen. Aber wie findet man so einen? Auf dem Bahnhof gab es die „Wiener Zeitung“ mit Partner-Anzeigen. „Kulturvoller, gepflegter, intelligenter Herr von ebensolcher Dame mit Herzensbildung aus Schwerin gesucht“, schrieb ich in meine Annonce. 250 DM hatte mich das gekostet, war es mir aber wert. Selbst wenn ich sonst nicht nur sparsam, sondern fast schon geizig war.
Als die Rechnung kam, war eine kopierte Anzeigenseite aus einer der letzten Ausgaben dabei. Da hatte ich sie also schwarz auf weiß, die Glück verheißenden Männer. Burkhards Text gefiel mir, er schien das Gleiche wie ich zu suchen. Also schrieb ich ihm ein paar Zeilen, über mich, meine Interessen und Vorstellungen von einer Partnerschaft auf Distanz. Kurz darauf klingelte das Telefon, und er war dran. Warme, sympathische Stimme. Ich und die neuen Bundesländer interessierten ihn sofort. Eine Woche später war er da.
Was war ich aufgeregt, als das große, teure Auto vor meinem Neubau hielt. Das versprach Luxus pur. Meine Nachbarin bekam

gleich Stielaugen. Ich sah ihn vom Fenster aus und war schon wahnsinnig beeindruckt. Genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe, eben ein Herr, etwas Besseres. Als ich die Tür aufmachen wollte, zitterte ich vor Nervosität.
Ein Traumprinz, zehn Jahre älter als ich. Gediegen, freundlich, höflich. Wir fuhren trotz des kalten Herbstwindes nach Warne-münde, spazierten endlos am Strand entlang. Die Herbstsonne verführte uns dazu, es uns in einem der Strandkörbe bequem zu machen. Plötzlich wurde ich ganz mutig, zog mich nackt aus und sprang in die Wellen. Das konnte und kann ich mir immer noch leisten, ich habe einen gepflegten Körper und eine gute Figur, worauf ich sehr stolz bin. Burkhard kam gleich hinterher. Später gestand er mir, dass er wegen seines Rheumas eigentlich nie ins kalte Wasser ginge, aber er wollte nicht als Feigling gelten. Befriedigt stellte ich fest, dass ich ihm gefiel. Das machte mich froh. In meinen kühnsten Fantasien sah ich mich schon an seiner Seite durch Österreich reisen, all die schönen Dinge des Lebens genießen.
Ich brachte ihn noch zu seinem Hotel und war rechtschaffen müde. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag zu einem Ausflug auf den Darß. Erst frühstückten wir in seinem Hotel. Wie ich das liebe, ungewöhnliche, leckere Delikatessen zu essen, bedient zu werden. Der Wettergott war uns wieder hold, es war ein wunderschöner Tag. Burkhard interessierte sich nicht nur für die schöne Insel, sondern auch dafür, wie wir in unserem sozialistischen Staat gelebt hatten. Bei endlosen Gesprächen fanden wir viele Gemeinsamkeiten. Wir konnten uns schnell vorstellen, gemeinsame Reisen zu unternehmen.
In der „Bunten Stube“ in Ahrenshoop schenkte er mir einen riesengroßen Kalender von Hundertwasser. Darüberhabe ich mich unheimlich gefreut. Der kostete 50 DM, das hätte ich mir mit meiner Erwerbsunfähigkeitsrente nie im Leben leisten können. Da hatte er voll ins Schwarze getroffen.
Er brachte mich dann nach Hause und wollte mich so umarmen. Ich sträubte mich etwas, das war mir zu früh. Da meinte er, wo er mir doch den Kalender geschenkt hätte …

Das hätte er nicht sagen sollen, das nahm ich ihm sehr übel. Sieht ja aus, als wäre man käuflich. Gut, ich will ja nicht abstreiten, dass ich mich auf seine Kosten amüsieren wollte. Dafür hatte er aber auch eine gut aussehende, nette und intelligente Begleiterin. Außerdem entscheide ich, wann es intim wird. Er hat sich dann so halb entschuldigt, als er durch meine Reaktion mitkriegte, was er verpatzt hatte.
In der Folgezeit telefonierten’wir oft und kamen uns immer näher. Einmal besuchte ich ihn in Wien. Er besaß eine wunderschöne Wohnung. Riesengroße Zimmer, geschmackvoll eingerichtet. Da wurde mir doch mal wieder bewusst, in welch kleinen Verhältnissen ich lebte. In der DDR konnte keiner groß zu was kommen, alle hatten einen ähnlichen Lebensstandard. Allerdings war dadurch der Neid nicht so sehr verbreitet. Wir wurden, als ich so sechs Jahre alt war, aus Ostpreußen vertrieben. Als wir hier ankamen, waren wir nichts und hatten nichts. Vielleicht deshalb träumte ich mein Leben lang vom Luxus. Dann war erstmal Pause. Burkhard rief kaum an, ich schon gar nicht. Ich mag zwar arm sein, oder sagen wir lieber, nicht viel Geld haben, stolz bin ich trotzdem. Ich weiß schon, was ich wert bin. Ich bin noch nie einem Mann hinterhergelaufen, mir ist das umgedreht lieber.
Meine Anzeige war inzwischen in der „Wiener Zeitung“ erschienen, und es hatte sich unter anderem ein Arzt gemeldet, der mich kennenlernen wollte. Auch er machte am Telefon einen wirklich angenehmen Eindruck. Er überredete mich, ihn zu besuchen, die Fahrtkosten wollte er übernehmen. Das hörte sich schon mal gut an. Eigentlich bin ich nicht so der mutige Mensch, der Risiken in Kauf nimmt oder gar ansteuert. Aber nun hatte ich Blut geleckt, wie man sich das Leben versüßen kann an der Seite eines wohlhabenden Mannes.
Franz holte mich mit dem vereinbarten Symbol – rote Nelke in der Hand – vom Bahnhof in Wien ab. Ein stattlicher, beeindruckender Mann! Allerdings merkte ich gleich, dass er bei seinem Alter um mindestens fünf Jahre gemogelt hatte, also achtund-fünfzig war der garantiert nicht.
Wir verbrachten einen netten Abend mit einem weiteren Paar in seinem feudalen Haus am Stadtrand. Gutes Essen, ein edler Tropfen. Franz sprudelte nur so vor Charme und Intelligenz. Na, und blöde bin ich ja auch nicht. Seitdem ich mich in einem Volkskunst-Zirkel mit Malerei beschäftigte, hatte ich mich auf diesem Gebiet belesen und kann, wenn es um Kunst geht, schon ein Wörtchen mitreden. Mag man über die DDR denken, was man will, eine gute Allgemeinbildung wurde uns allenthalben vermittelt. Ich glaube, ich kam ganz gut an. Es erstaunte mich immer wieder, wie interessiert die Menschen aus anderen Staaten an unserem Leben in der Deutschen Demokratischen Republik waren. In Österreich war man mit dieser Vergangenheit noch immer ein Exot.
Na, es wurde Zeit ins Bett zu gehen. Ich bekam das Zimmer neben dem von Franz. Er hatte die Tür offen gelassen. Als er sich auszog, sah ich all die Krampfadern an seinen Beinen, das machte mich nicht gerade an. Ich sagte dann halt bloß „Gute Nacht.“ Er sah dies wohl als Einladung, schlüpfte zu mir ins Bett und belästigte mich. Das gefiel mir nun gar nicht, ich kannte ihn ja kaum, außerdem musste ich immerzu an seine nicht so sexy Rückenansicht denken. Als ich das Spiel nicht mitmachen wollte, wurde er wütend. Da habe ich dann gesagt: „Gut, fahre ich morgen wieder ab.“
Beleidigt zog er sich zurück. Der nächste Tag begann gar nicht lustig. Weil die Jalousien runtergezogen waren, war es stockdunkel im Zimmer, und ich wachte nicht auf. Franz weckte mich mit den unfreundlichen Worten: „Willst du nicht endlich aufstehen?“
Unten erwartete mich ein sprachloses Paar, ein trockener Toast und eine Tasse Kaffee. Franz gab mir mein Gastgeschenk – ein selbst gemaltes Seidenbild – zurück und brachte mich wortlos zum Bahnhof. Ich war inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes auf 180.
Vor der Reise hatte ich dummerweise alle meine Tabletten abgesetzt, darunter auch den Betablocker, der meinen Blutdruck regelte. Mir war schwindlig und schlecht, ich fühlte mich be-
schissen, wagte nicht, in den Zug einzusteigen, meldete mich auf der Rot-Kreuz-Station und ließ mich dort versorgen. Nach langem Hadern mit mir selbst rief ich Burkhard an und fragte, ob er mich nicht abholen könne. Er kam sofort und stellte keine indiskreten Fragen, er respektierte einfach, dass ich nicht erzählen wollte, was vorgefallen war. Er war komischerweise nicht einmal besonders überrascht über mein unerwartetes Auftauchen. Das machte ihn mir nun angenehmer, als das nach der ersten Nacht zu erwarten war.
Im Auto auf dem Weg zu seiner Wohnung fragte er mich, ob ich mit ihm nach Sizilien fahren würde. Ich ließ mir meine Begeisterung nicht anmerken und sagte nach einigen Minuten des Schweigens zu. Von diesem Moment an war ich so richtig in ihn verliebt. Sizilien, das hätte mir mal einer vor vielen Jahren sagen Sollen, den hätte ich für verrückt erklärt. Die Insel wartoll. Burkhard hat dort ein kleines Landhaus, nicht groß, aber für zwei reicht es. Er zeigte mir das ganze Eiland, wir wanderten, dachten uns immer neue Routen aus. In dieser Zeit stellten wir viel Übereinstimmendes zwischen uns fest. Es brauchte lange, bis ich merkte, dass die Ideen immer von mir kamen.
„Was wollen wir heute machen?“, fragte er jeden Morgen. Ich hatte natürlich jedes Mal einen Vorschlag, wollte ich doch möglichst alles sehen. Als ich ihm einmal die Initiative überlassen wollte, kam nichts.
Na gut, hob ich gedacht, übernimmst du den Part der Organisation. So bekamen wir uns beim Planen wenigstens nicht in die Haare.
Sexuell passierte nicht allzu viel. Ab und zu mal, doch das war mir egal, ich legte da sowieso keinen Wert drauf; hatte in meinem Leben genug gepimpert.
Während dieses Aufenthalts lernte ich seine erste Frau kennen; insgesamt hat er zwei Ehemalige. Als ich mit ihr einige Minuten allein war, vertraute sie mir an: „Mit ihm kann man auf die Dauer nicht zusammenleben, er macht immer wieder Zank und Streit, weiß alles besser. Durch seine Position im Beruf ist er sehr
dominant und kann keine andere Meinung hinnehmen. In solchen Fällen wird er, zumindest verbal, aggressiv.“ Naja, dachte ich mir, was geschiedene Frauen so von ihrem Ex reden, lassen ja keinen guten Faden an ihnen. Mir geht’s ja im Prinzip auch nicht anders. Mir fällt nichts Freundliches über meinen Ehemaligen ein, außer im Bett, da konnte er immer. Das hatte mich auf Dauer eher abgestoßen als angemacht. Im Laufe der Zeit konnte ich jedoch feststellen, dass sich alle negativen Urteile von Burkhards erster Frau bewahrheiten sollten. Passte ihm etwas nicht, ging sein Tonfall gleich in die Höhe und die Worte, die er benutzte, waren nicht gerade gesellschaftsfähig, entsprachen jedenfalls nicht meiner Vorstellung vom Vokabular eines Geschäftsführers.
Na, da war er bei mir an der richtigen Adresse, ich packte einfach meine Koffer und fuhr ab, ohne groß zu diskutieren. Er schickte mir zwar immer die Gutscheine für die Bahnfahrt, finanzierte unsere gemeinsamen Ferien, ab und zu gab’s mal ein kleines Geschenk, aber deswegen musste ich mich doch nicht von ihm beleidigen lassen. Wer war ich denn? Er konnte doch froh sein, dass ich ihm meine Zeit gewidmet hatte. Gott sei Dank hat er mir nie Geld gegeben – obwohl ich manchmal wünschte, er hätte zum Beispiel meine Zahn-OP in Österreich bezahlt – das waren immerhin 3000 DM; für ihn ein Klacks, für mich eine Riesensumme. So jedoch fühlte ich mich in gar keiner Weise ihm gegenüber verpflichtet. Er meldete sich genau drei Jahre nicht. Was pestete ich mich, wie oft saß ich vor dem Telefon, mein Stolz ließ es dann doch nicht zu, ihn anzurufen.
Ich vermisste seine Verehrung und die schönen Ausflüge, die ich mir von meinen kargen Bezügen nicht leisten konnte. Anbiedern, das gibt es bei mir nicht. Ich war schon immer eine Frau, die sich das gesucht hat, was sie wollte. Nachdem ich mich von meinem Mann getrennt hatte, ging ich mit meinen Freundinnen oft tanzen. Meist guckte ich mir einen aus, und den bekam ich dann auch. Katharina hat sich damals gewundert, wie ich das mache. Kann ich heute nicht mehr sagen. Vielleicht lag’s daran,
dass ich nicht dringend einen Mann suchte, sondern einfach nur ein Abenteuer haben wollte, für eine Nacht oder so, mehr sollte es nie werden. Das spüren die Männer, die auf das Gleiche aus sind, die meisten suchen doch, wenn sie ausgehen, nicht die Frau fürs Leben.
Die meisten meiner Freundinnen waren verheiratet, da sah ich doch, was los war und wie ich es nicht haben wollte. Meist gingen sie heimlich zum Tanzen, schoben irgendeine betriebliche Geschichte vor. Neue Kleider oder so gab’s bei denen nur selten, alle sparten mit dem Ehepartner aufs neue Auto, das sie dann nicht mal fahren durften, weil ja ’ne Beule reinkommen könnte.
Also das mit dem Partner in einer Wohnung hatte ich mir ganz schnell abgeschminkt. So konnte ich tun und lassen, was ich wollte, war keinem Menschen Rechenschaft schuldig. Ich lebe sehr gut allein. Einsamkeit kenne ich nicht. Im Mal-Zirkel war ich mit anderen Frauen zusammen, wir probierten viel aus, damals wurde Seidentechnik gerade aktuell. Es wurde natürlich auch geklatscht und getratscht, das gehört eben dazu. Dann habe ich ja lange Zeit noch gearbeitet und hatte da meine Unterhaltung. Für mich hat das gereicht. Ich lebe nicht gern mit Verpflichtungen oder bin gar die Magd. Ich bin eher der Typ, der nutzt, was Männer an Potenzial zur Verfügung stellen, ohne sich dabei abhängig zu machen, an Dankbarkeit zugrunde zu gehen oder sich unbedingt revanchieren zu müssen.
Welche Ursachen diese Haltung hat, kann ich nicht erklären, obwohl ich oft darüber nachgedacht habe. Vielleicht ist es nur die Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass es so am besten für mich ist. Das mag nach Egoismus klingen, es ist mir jedoch nicht bewusst, dass ich mit dieser Lebenseinstellung jemanden ernsthaft verletzt hätte. Es haben sich solche Konstellationen ergeben, oder aber ich habe es so gewünscht und gesucht. Fast auf den Tag genau drei Jahre, nachdem ich Burkhard schon abgeschrieben, mich aber auch nicht nach einem anderen Mann umgesehen hatte, klingelte überraschend das Telefon, und mein Prinz aus Österreich war dran.
Ich bin fast aus allen Wolken gefallen und konnte den Hörer vor Aufregung gar nicht halten. Wie oft hatte ich davon geträumt, es mir vorgestellt. Alles hatte ich in meinem Kopfkino x-mal durchgespielt, ich kannte meine Rolle genau. Mir fiel jedoch in diesem Moment nichts als die Wahrheit ein, also sagte ich ihm, wie glücklich ich über seinen Anruf sei. Gleich berichtete er mir, dass er eine Prostata-Operation hinter sich habe und es ihm nicht gerade gut gehe.
Ich konnte ihm ja schlecht sagen, wie sehr es mich freute, dass er nun keinen Geschlechtsverkehr mehr wollte, wenn wir uns wiedersehen sollten. Ich habe das ab und zu mitgemacht, wollte ihn und die schönen Reisen ja nicht verlieren, Spaß daran habe ich nicht gehabt. Ich kann gut ohne das Gerammei leben. Was war ich froh über seine Ankündigung, er wolle mal wieder nach Schwerin kommen. Ihn interessierte natürlich auch, was so nach der Wende passiert war in den neuen Bundesländern. Ich konnte es gar nicht erwarten, ihn aus dem Auto aussteigen zu sehen. Davon ließ ich mir jedoch erstmal nichts anmerken. Fast nötigen ließ ich mich. Drei Jahre nicht melden – das musste er zu spüren bekommen.
Aus dem Fenster sah ich seinen Wagen, hatte ja schon ewig gelauert. Dann kam er mit seinem Koffer die Treppe hochgehechelt und hatte weinrote Haare, schon etwas schütter. Ich konnte es nicht fassen. Meine Nachbarin meinte, ich hätte wohl einen neuen Bekannten. Es hat lange gedauert, bis ich ihn davon überzeugt hatte, dass er mit seinem grauen Haar seinem Alter entsprechend natürlicher und besser aussähe. Er war noch gar nicht lange in meiner Wohnung, da fragte er, ob er mal telefonieren könne.
Einer llka teilte er nur kurz mit, dass er jetzt in Rostock bei Gerburg angekommen sei, das war alles. Auf meine Frage, wer das denn sei, antwortete er nicht. Das sollte er mir erst viel später erzählen.
Ansonsten wurde es wie immer, wir verstanden uns gut, unternahmen viel, er war nach wie vor sehr wissbegierig, vor allem, was unsere sozialistische Lebensweise betraf. Sex war zu meiner
Freude passe. So ein paar Zärtlichkeiten sind mir nicht unangenehm.
Nach einem schönen Tag, wir hatten die Insel Rügen erobert, viel gesehen, erzählt, unterwegs gut gegessen, meinte er, er habe noch eine Überraschung für mich.
Da war ich aber gespannt, mit den Überraschungen hatte Burk-hard es sonst nicht so. Er holte eine hübsche bunte Dose hervor, obenauf war ein Spiegel. Hübsche Pillendose, dachte ich so, da kannst du deine Blutdrucktabletten reintun. Da hatte ich mich gewaltig geirrt, in der Dose befanden sich schon einige blaue Tabletten mit dem Namen Viagrq. Da war ich aber schockiert. Er nahm so ein Ding und es funktionierte mehr oder weniger gut. Also, was der Name des Medikaments versprach, hielt er nicht, jedenfalls nicht bei Burkhard. Wir versuchten das mit dem Wunderding später noch mal auf Sizilien. Als wir ins Bett gingen, war da plötzlich so ein rhythmisches Pochen auf dem Dach, über das ich unbändig lachen musste. Ich lachte und lachte und lachte, sein Ding funktionierte nicht. Darüber war er echt sauer.
Da habe ich ihm gesagt: „Weißt du, meinetwegen brauchst du dafür kein Geld auszugeben, ich kann da gut und gerne drauf verzichten. Mir gefällst du auch ohne Stehpuller. Ich mag dich so, wie du bist.“
Es hat trotzdem sehr an ihm genagt, dass er seine Männlichkeit nicht mehr unter Beweis stellen konnte. Sein Selbstbewusstsein litt enorm darunter.
Da hast du zeitlebens mit dem Schwanz gedacht, ging es mir durch den Sinn. Hättest du mal lieber den Kopf dazu genommen, dann hättest du jetzt nicht so viele Schwierigkeiten. Stimmt doch, der größte Teil der Männer denkt nur immer an das Eine. Und wenn das Glied seinen Dienst nicht mehr leistet, sind sie völlig aufgeschmissen.
Ich versuchte, ihn mit allen möglichen Dingen abzulenken, gab mir wirklich Mühe. Einmal haben wir zusammen einen acht Meter langen und ganz breiten Seidenschal bemalt. Den haben wir dann in den Wind gehängt, ich kann mich noch gut
an das erhebende und glückliche Gefühl erinnern – vor allem deshalb, weil es mir nach langer Zeit gelungen war, ein Lächeln auf Burkhards Gesicht zu zaubern. Gern wüsste ich, wie dieser Augenblick in seiner Erinnerung aussieht. Nach einer kurzen und sehr harmonischen Zeit fing Burkhard ganz plötzlich an zu stänkern. Nichts passte ihm mehr. Mir kam es so vor, als wollte er mich loswerden. Erst dachte ich, es läge daran, dass ich ihm hin und wieder Paroli bot, was er absolut nicht gewohnt war.
Er wurde von Tag zu Tag nervöser. Ich konnte mir die Ursache einfach nicht erklären. Auf einer Anhöhe, einem besonders schönen Stück Erde, wollten wir ein Foto machen. Ich sollte aus einem mir unerklärlichen Grund unbedingt auf einem vorhandenen gelben Strich stehen. Als ich das nicht tat, schrie er mich vor allen Leuten an. Eigentlich machte er sich selbst lächerlich dabei. Jeder blamiert sich, so gut er kann. Wir gingen noch Fisch essen. Im Restaurant kamen plötzlich ganz viele Mücken, das machte ihn so kribbelig, dass er sich das Essen von oben bis unten über den Leib schüttete. Seine wirklich edlen Klamotten waren verdorben. Daraufhin meckerte er mich an.
Wir hatten eine Hütte im Gebirge gemietet. Auf dem Wege dorthin fuhr Burkhard ungewöhnlich rasant. Ich hatte Angst, traute mich aber wegen seiner unberechenbaren Reaktionen nicht, das zu sagen. Als ich in einer Kurve „Burkhard, der Felsen“ herausstieß, wurde er so wütend, dass er völlig unartikulierte Laute aus sich herausschrie. Ich bin fast gestorben bis zum Campingplatz. Wir stiegen aus dem Fahrzeug und bis zu unserer Behausung hackte er laut und unflätig, trotz der Anwesenheit vieler Leute, auf mir rum. Ich gab keinen Ton mehr von mir und ging ins Bett. Dann tat er mir leid und ich wollte ihn in seinem Bett trösten. „Du bist nicht feinfühlig, lass mich in Ruhe“, schrie er mich an, sodass es wieder jeder hören konnte. Da brüllte ich in der gleichen Lautstärke zurück – was er wohl nicht erwartet hatte -, dass er mich kräftig am Arsch lecken könnte, ich nun endgültig die Schnauze voll von ihm hätte und ich am nächsten Tag ab-
reisen würde. Diese Tonlage war er von mir nicht gewohnt. Der Ausbruch verfehlte seine Wirkung nicht. Wortlos brachte er mich zum Bahnhof. Meine Fahrkarte musste ich diesmal selbst bezahlen, was ich verbissen, aber nicht reumütig tat. Seelisch war ich mal wieder völlig fertig.
Seitdem ich diesen Mann kenne, bin ich krank. Eine Krankheit nach der anderen sucht mich heim. Psychosomatisch nennt das der Nervenarzt. Bisher hat mir noch keiner sagen können, wie ich damit umgehen soll oder wie ich von dem Mann loskomme. Schon nach wenigen Wochen schickte er mir als Entschuldigung eine Goldmünze. Reden darüber bringt er einfach nicht fertig. Er sagte, er habe es nie gelernt, über seine Gefühle zu reden. Nun sei er einfach zu alt dazu. Damit hatte sich das Ding für ihn erledigt. In diesem Moment fühlte ich mich ihm ausgeliefert, weil ich so ein Spiel eigentlich nicht mitmachen sollte; es ist nicht gut für meine Seele. Es verletzt mich, schmälert mein Selbstbewusstsein und widerspricht meiner Einstellung zu dem, was man mir antun kann und was nicht.
Immer wieder rede ich mir ein, in dieser Hütte, bei dieser verbalen Misshandlung, wäre meine Liebe zu ihm gestorben, immer wieder. Ruft er dann ein, lädt mich ein, ist alles vergessen, und ich kann gar nicht schnell genug hinkommen. Es sollte ein halbes Jahr dauern, ehe ich ihn wieder besuchte. Seine Schwester erzählte mir von einer Amerikareise zur Beerdigung eines Verwandten. Mit llka soll er dorthin geflogen sein. Nun wurde mir einiges klar. Er hatte den Streit einfach provoziert, als dieser Todesfall eintrat, weil er wohl meinte, llka sei vorzeigbarer als ich. Das Foto von ihr auf dem Kaminsims hatte er nicht weggenommen, als ich ihn besuchte. Eine hübsche, selbstbewusste Frau, etwa zehn Jahre jünger als ich. Wie Burk-hard mir dann selbst erzählte, ist sie eine aus Bulgarien kommende Zahnärztin. Sie fährt ab und zu auf Kongresse mit ihm. Er nimmt da wohl so eine Art Gigolo-Funktion ein. Vielleicht hält sie ihn dann auch aus, das habe ich nie herausbekommen. Zum Thema Sex soll sie – und das entspricht seinen eigenen Angaben – zu ihm gesagt haben: „Nimm’s mir nicht übel, der ist mir auch
mit Viagra zu klein.“ Einmal pro Woche soll sie sich einen Mann kommen lassen, den sie bezahlt. Also, mir ist ein impotenter Mann lieber.
Noch etwas kam mir komisch vor. Burkhard kocht sehr gern. Allerdings meist ziemlich fettige Speisen, dann noch abends. Macht nichts, es schmeckt, er tut’s gerne, und man isst es ja nicht immer. Da kam ich mal in die Küche, da stand er am Kochherd mit einer Kittelschürze und einer Frauenperücke. Das fand ich sehr eigenartig … Ich habe nie herausbekommen, was das sollte.
Weihnachten waren wir verabredet. In einem Hotel, das wir oft gemeinsam besuchen, wo sich immer die gleichen Leute treffen. Nun muss ich ins Krankenhaus, wird wohl nichts werden. Schade. Um Burkhard mache ich mir keine Sorgen. Er kommt mit allen gut klar, findet immer Kontakt, da werde ich ihm gar nicht fehlen. Und was soll ich sagen, seit etwa zehn Monaten steht mein Foto wieder auf dem Kaminsims, llka ist verschwunden. Er sagt nichts dazu, ich auch nicht.
Allerdings ruft er seitdem ständig bei mir an, zwei-, dreimal die Woche. Mich nervt das schon. So viel passiert nicht in meinem Leben, dass ich jede Menge zu erzählen hätte. Er geht ja trotz seiner 75 Jahre Tag für Tag einige Stunden in seinen Betrieb. Was er da macht, weiß ich nicht. Wenn er weiterhin die schönen Reisen und meine Aufenthalte in Wien finanziert, ist mir das alles auch egal.