Leseprobe Kinder alleinstehender Mütter in der DDR

Bernd 58

Wir hatten keinen Vater, das war eben so, groß darüber nachgedacht habe ich nicht, obwohl die meisten Kinder in  meinem Umfeld in einer vollständigen Familie lebten, das hätte mich eigentlich stutzig machen müssen. Gut, ich kannte es nicht anders. Das Thema wurde von keinem angesprochen, es war tabu. Das hat mich allerdings nicht beunruhigt. Mein großer Bruder war elf, als ich geboren wurde. Sein Erzeuger starb kurze Zeit später, nachdem meine Mutter entbunden hatte. Den Hintergrund kenne ich nicht, auch darüber wurde nicht geredet.
Ich erinnere mich, dass wir unter sehr beengten Verhältnissen wohnten, zu dritt in einem Zimmer zur Untermiete. Dann hatten wir das große Glück, eine Neubauwohnung zu bekommen, zwei Zimmer, Küche und Bad, das war in den Sechzigern ein Hauptgewinn. Meinem Bruder hat es dort allerdings nie so richtig behagt, er hat dann schnell geheiratet und ist ausgezogen. Mit meiner Mutti allein hatten wir nun viel Platz.
Viel Zeit habe ich bei den Großeltern meines Bruders verbracht, sie haben es mich nie spüren lassen, dass sie nicht meine richtigen Verwandten sind, da ich ja einen anderen Vater hatte. Sie waren sehr großzügig mir gegenüber. Wöchentlich hatten wir Kontakt. Ich fühlte mich dort sehr wohl. Am schönsten war es in ihrem Garten.
Er hatte sie den Krieg über ernährt und sollte es auch weiterhin tun. Es wurde jede Menge Obst und Gemüse angebaut, so konnten wir uns zu dieser Zeit gesund ernähren. Die Regale in den Verkaufsstellen gaben nicht viel her an Frischkost.
Es wurde geerntet und für den Winter eingekocht. Geschmeckt hat es, aber die Gartenarbeit fand ich ätzend.
Noch vor ihrem ableben hat meine Oma das Grundstück an meinen Bruder überschrieben, Meine Mutter, ihre Schwiegertochter, hat sie übergangen, sie war ja nicht blutsverwandt. Da sich die Frau meines Bruders als Mitbesitzerin mit ins Grundbuch hatte eintragen lassen, gab es nach der Wende eine Menge Ärgernisse.
Wer hat denn damals an die Möglichkeit gedacht, dass sich die Grenzen öffnen könnten und mein Bruder sein gutes Recht nutzen könnte. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich mit meiner Frau viel Arbeit und natürlich auch Geld  in das Stück Land gesteckt. Das kleine Häuschen haben wir ausgebaut un d schick gemacht. Jetzt . wurden keine Nahrungsmittel  mehr angebaut, sondern wir gestalteten den Garten parkähnlich. Alles umsonst, an einen finanziellen Ausgleich war nicht zu denken.
Das hat unser brüderliches Verhältnis belastet. Mit meiner Schwägerin will ich nichts mehr zu tun haben.
Meinen richtigen Vater habe ich nur in frühester Kindheit gesehen. Er war Kraftfahrer bei der russischen Botschaft und führ einen Pobjeda. Ein oder zwei Mal durfte ich da mitfahren, da war ich vielleicht stolz. Der Mann war verheiratet und hatte bereits zwei Söhne, er wünschte sich eine Tochter. Wäre ich ein Mädchen geworden, hätte sich mein Erzeuger scheiden lassen, behauptete damals meine Mutter. Ich habe ihn nicht sehr gern gemocht. Selten kam er zu Besuch. Dann las er mir jedes Mal das gleiche Märchen als Gute-Nacht-Geschichte vor, „Die Bremer Stadtmusikanten“. Ich fand es  langweilig und war froh, wenn er sich nicht blicken ließ. Als der Rechtsanwalt Die Höhe der Alimente raufsetzte, weil mein Vater mehr verdiente, zahlte er einfach nicht das, wozu er verpflichtet war. Meine  Mutter wollte mich aufhetzen, ich sollte ihn überreden, dass wir uns wegen des Unterhalts zusammensetzen. Mich interessierte das nicht, er ist immer ein Fremder für mich geblieben. Vermisst habe ich ihn im Alltag nie. Ich kann auch nicht sagen, dass ich neidisch war, wenn die anderen Kinder von ihren Vätern und ihrem Familienleben berichteten.
Viele andere Männer hatte meine Mutter nicht. Einmal war da so ein pfundiger Kerl, der gefiel mir, mit ihm bin ich sehr gut klar gekommen. Er hatte zwei Söhne und ich stellte mir vor, dass wir eine Familie mit drei Jungens wären. Das hätte ich gut gefunden. Leider hat es nicht geklappt, es war nicht die große Liebe meiner Mutter. Wie es auseinander gegangen ist, habe ich mir nicht gemerkt. Wahrscheinlich wurde es mir nicht gesagt.
Dabei wäre es gut gewesen, wenn es da noch einen Verdiener gegeben hätte. Uns ging es finanziell schlecht, sehr schlecht, schlechter als den Anderen. Ich weiß gar nicht mehr, wie meine Mutter das damals gemacht hat. Sie schickte mich häufig einkaufen, das Wechselgeld durfte ich immer behalten. Einen Fernseher konnten wir uns lange nicht leisten, dazu war kein Geld da. Wenn ich in diesen Genuss kommen wollte, musste ich schon zu Freunden gehen, deren Eltern mehr Geld zur Verfügung hatten als wir. Von meinem Jugendweihe-Geld kauften wir den ersten Fernsehapparat. Damals war es so, dass man statt der Geschenke zu diesem Fest verschiedene Summen in einem Umschlag bekam. Das war das Beste an der Jugendweihe. Ich hatte viele Onkel und Tanten, da kam schon was zusammen.
In den Ferien fuhr ich regelmäßig Richtung Fürstenwalde zu meiner Tante.
Dort fühlte ich mich super aufgehoben. Die Familie wohnte in einem kleinen Dorf.
Es war so schön, früh aufzuwachen und in der Natur zu sein. Wo ich lebte, waren ja ringsherum Häuser. Mit meiner Cousine war ich bei der Heuernte dabei, fuhr Fahrrad, sammelte Pilze und angelte. Ich freute mich lange vor den Ferien auf diese Zeit und malte mir aus, was ich alles unternehmen würde.
Genauso war es mit dem Betriebs-Kinderferienlager, das war klasse. So einen Urlaub hätten wir uns sonst nie leisten können. Für wenig Geld wurde uns dort viel geboten, 15 Mark der DDR für zwei Wochen. Ich fand die Entwicklung Jahr für Jahr lustig. War ich zuerst einer der Kleinsten, so stand ich dann mit 15 in der Hierarchie ganz oben. Diese 14 Tage an einem anderen Ort nahmen einen großen Stellenwert in meiner Kindheit ein.
In unserer Hausgemeinschaft ging es sehr freundschaftlich zu. Unsere Nachbarn waren ein kinderloses Ehepaar. Sie mochten mich sehr und holten mich oft zu sich, ich durfte sie mit dem Vornamen anreden, ich fühlte mich sehr wohl in dieser Gemeinschaft. Meine Mutter arbeitete im Büro als Sekretärin bei der Berliner Stadtreinigung. Wenn vor allem im Winter Havarie angesagt war, kam es vor, dass sie nachts zum Einsatz musste. Da war es selbstverständlich, dass ich bei den Nachbarn untergebracht wurde.
Ich glaube, meiner Mutter hat es gut auf der Arbeit gefallen. Hin und wieder besuchte ich sie dort, dann durfte ich mit einem der LKW mitfahren, das hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Dann waren da noch die Betriebsvergnügen. Mit einem Dampfer fuhren wir i n ein Ausflugslokal. Es waren sehr viele Kinder dabei. Wir vergnügten uns bei Sport und Spiel. Es war schon zu spüren: Die Kollegen und Kolleginnen verstanden sich gut miteinander. Meine Mutter war beliebt, das strahlte auch auf mich aus. Ich war sicherlich sehr quengelig, aber das wurde mit Geduld ertragen.
Sehnlichst wartete ich auf die jährliche Betriebs-Weihnachtsfeier. Sie fand in einem riesengroßen Saal statt. Alle Teilnehmer erhielten reichlich Geschenke. Allerdings muss ich zugeben, dass ich diese Veranstaltung je älter ich wurde immer mehr als Zwang ansah.
Meine Großeltern waren selbständig, Täschnerei und Lederwaren, vorwiegend Reparaturen. Sie mochten die Kommunisten nicht und verboten mir, zu den Pionieren zu gehen. Mein Bruder wurde mit Problemen dieser Art nicht konfrontiert, weil er sich mit seinen 17 Jahren dem Einfluss der Älteren schon entzogen hatte. Er lebte in seiner Elvis-Clique und ließ sich nicht mehr viel sagen. Für den Sozialismus war er verloren. Man überredete mich dann doch, bei den Jungen Pionieren einzutreten, Dieser montägliche Fahnenappell mit dem blauen Halstuch kotzte mich an. Ich wollte einfach wie alle dazugehören. Gefallen hat mir der Gruppenzwang bei den Pioniernachmittagen nicht.
In der 8.Klasse entschied sich, ob man zur Allgemeinbildenden Oberschule (Abschluss 10.Klasse) oder zur Erweiterten Oberschule (Abschluss  12.Klasse) ging.
Ich hatte einen kommunistischen von der sozialistischen Propaganda überzeugten Klassenlehrer, der nicht wusste, dass ich nicht immer konform ging mit der Politik unseres Staates. Meine Mutter hatte mich zur Höflichkeit erzogen, ich sollte um Gottes willen nicht anecken. Dieser Lehrer und der Direktor meiner Schule überzeugten meine Mutter, dass es mit meinem Leistungsdurchschnitt für mich besser wäre, wenn ich auf die EOS ginge und anschließend studierte. Meine Mutter, wollte, dass ich Geld verdiene. Sie hatte für mich eine Ausbildung als Schienenfahrzeug-Schlosser oder Elektro-Montageschlosser vorgesehen. Sie kam aus einfachen Verhältnissen, deshalb dachte sie über eine höhere Bildung nicht nach. Nicht so ihre Schwiegereltern, was ja Opa und Oma für mich waren. Sie waren auch der Meinung, dass ich studieren sollte.
Anfangs war es auf der Oberschule schon zu spüren, dass die meisten aus anderen sozialen Schichten wie ich kamen. Es entwickelte sich so eine Klüngelei, was sich aber nach und nach auflöste.
Ich studierte dann Mathematik und war mir schon ziemlich zeitig bewusst, dass ich mit einer besseren Ausbildung ein besseres Leben führen kann. Ich wollte weg von  zu Hause. Also ging ich nach Karl-Marx-Stadt. Mit den 190 Mark Stipendium bin ich irgendwie klargekommen, die anderen ja auch.
Es zog mich unwiderstehlich nach Berlin zurück. Ich wohnte bei meinem Großvater in Lichtenberg. Er hatte eine sehr geräumige Wohnung. Leider wurde er zunehmend geistig verwirrt und musste ins Pflegeheim gebracht werden.
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